Oder die Zerstörung von Erinnerung
Ein Themenabend mit dem Historiker Peter Pirker
»Unendlich einsam und verlassen ist das Vomperloch. Keine Sennhütte, keine Schutzhütte lockte uns zur Rast, nur verschlossene Jagdhäuser gaben Zeugnis, daß selbst in diesem weltentrückten Winkel zeitweilig Menschen hausen. Erdrückend müßte die Einsamkeit, die starre Pracht der Felsen wirken … .«
So beschrieb Heinrich von Ficker Ende des 19. Jahrhunderts das Vomperloch (Meisterbilder aus Tirols Alpenwelt. Wanderungen in Innsbrucks Bergen. 1910)
»Fast unzugänglich dem Fuße des Menschen« – diese Eigenschaft des Vomperlochs nutzten zwischen Frühsommer 1943 und Kriegsende 1945 Wehrmachtsdeserteure, um sich dort der Verfolgung durch den NS-Apparat zu entziehen.
Der Historiker Peter Pirker schreibt über die Bedeutung dieses Deserteurlagers: »Abgesehen vom Spezialfall der slowenischen Partisanen in Kärnten und neben [einer Gruppe] im Salzkammergut und einer Gruppe im Tiroler Ötztal handelte es sich wohl um eine der größten Deserteursgruppen in Österreich, die sich über viele Monate hinweg halten konnte und das Kriegsende unbeschadet erlebte.«
Trotzdem weiß man bis heute wenig über die Männer, von denen sich manche monatelang in Erdlöchern vergraben dem Dienst in der Wehrmacht entzogen haben. Wenig weiß man aber auch über ihre Familienangehörigen, ohne deren Unterstützung und Fluchthilfe das Überleben im Verborgenen nicht möglich gewesen wäre.
Nur kurz nach der Befreiung 1945, als es darum ging, den Alliierten gegenüber den Tiroler Widerstand prominent darzustellen, wurden die Deserteure im Vomperloch noch als »heimattreue österreichische Soldaten, die sich vom Hitler-Krieg losgesagt hatten« in der Broschüre »Kampf um Tirol. Entscheidende Taten zur Befreiung Innsbrucks im Frühjahr 1945« erwähnt.
Das sich in der österreichischen Nachkriegsgesellschaft mit rasender Geschwindigkeit ausgebreitete Vergessen der NS-Zeit ließ für die Erinnerung an die wenigen, die sich aktiv dem Dienst in der deutschen Wehrmacht entzogen hatten, keinen Platz: rasch wurden sie so zu geächteten »Fahnenflüchtigen« und »Verrätern«.
Peter Pirker hat im Jahr 2002 mit einem Mitglied der Deserteursgruppe im Vomperloch ein langes Interview geführt und wird die Ergebnisse seiner Recherchen vorstellen.