Vortrag von Univ.-Prof. Gerhard Stadler
Der Historiker Carlo M. Cipolla schreibt in Segel und Kanonen: »Kupfer, das wichtigste Rohmaterial für die Herstellung der Geschütze aus Bronze, kam bis ins 16. Jahrhundert hauptsächlich aus Ungarn, Tirol, Sachsen und Böhmen. Während also die Rohstoffe aus wenigen Gegenden Europas stammten, war die Verarbeitung überall möglich, da es den Handwerkern keine Schwierigkeit bereitete, zwischen der Herstellung von Glocken und Kanonen hin und her zu wechseln. Glocken- und Kanonengießer arbeiteten auf Bestellung.«
glockenklang und desaster … Ein einzelner Rosenkranz im Gemeindemuseum Absam verweist auf die von Karl Kraus in seiner Szene formulierten Zusammenhänge einer jahrhundertealten Geschichte: Kirchenglocken als Rohstoffreservoir für die Rüstungsindustrie.
Die Glocke läutet … Der Mesner: Hören Sie! Zum letztenmal! Gleich wird sie abgenommen. Man macht aus Schrapnellkugeln Rosenkränze und dafür aus Kirchenglocken Kanonen. Wir geben Gott, was des Kaisers und dem Kaiser, was Gottes ist. Man hilft sich gegenseitig, wie man kann.
(Aus : Karl Kraus, Die letzten Tage der Menschheit)
Bereits kurze Zeit nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wich die anfängliche Massenbegeisterung der ernüchternden Erkenntnis des ökonomischen Desasters: Die Industrie der österreichisch-ungarischen Monarchie stand ohne Rohstoffe da. Abhilfe hoffte man mit dem Aufbau von Rohstoff-Sammelzentren zu schaffen. Die Heeresverwaltung, die um den Nachschub von Rüstungsgütern bangte, verschaffte sich Zugriff auf die Sammelzentralen für Eisen und Buntmetalle. Im Zuge der vom k. u. k. Kriegsministerium inszenierten »patriotischen Kriegsmetallsammlung« wurden in der Monarchie Tausende von Kirchenglocken abgenommen, um sie in Kanonen umzuschmelzen.
Auch Absam musste seine Bronzeglocken abliefern. Josef Graßmayr, der kurz vor der Jahrhundertwende die ersten Glocken in seiner Absamer Werkstätte goss, verdingte sich während des Ersten Weltkrieges mit der fachgerechten Abnahme von Glocken in zahlreichen Gemeinden Vorarlbergs.
Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Gerhard A. Stadler, Industriearchäologe an der Technischen Universität Wien.
Eintritt frei