Ein Schlüssel zum Weltbild eines Bauern um 1800
Vortrag von Dr. Peter Andorfer
Ein Buch von Tirol und dem Rest der Welt
Über das Tiroler Dorf Waidring und über 5000 andere Orte auf der ganzen Welt hat Leonhard Millinger (geboren 1750) auf über 1000 Seiten in seiner Weltbeschreibung geschrieben. Millinger, ein »Bauers Mann bein Poner zu Waidring in Landgericht Kitzbichel« hatte sein Wissen »miesam zusammengeschrieben und kurtz verfaßt, genommen aus hernach benannten Büchern alt und neuen Schriften, und eigener Erfahrnuß«.
Und so lesen wir in seinem über 200 Jahre alten Buch über Sterne, den Himmel, Kirchengeschichte, die Elemente, Asien, Europa, Afrika und Amerika. Aber auch über Buchdruck und den Buchhandel hat er geschrieben:
»Die Buch Truckerey in Deutschland hat ao: 1440 der Johann Gutenberg ein deutscher Ritter von Mainz und sein Mitconsort erfunden. Und würd neben mehr Orten in folgenden Städten Büecher getruckt, als zu Augspurg, Amberg, Burghausen, Bassau, Bruck, Chöln, Cholmar, Frankenau, Frankfurt, Ginzburg, Grätz, Innspruck, Ingol Stadt, Landssperg, Leipzig, Lucern, Minichen, Mainz, Pamberg, Passau, Salzburg, Würzburg, Weissenburg in Franken.«
Lesekultur
Diese Weltbeschreibung aus dem Tirol um 1800 ist nicht nur ein außergewöhnliches Zeugnis bäuerlicher Schreib- und Lesekultur, sondern liefert auch Antworten auf folgende Fragen:
Was wusste ein Bauer aus Tirol im 18. Jahrhundert von der Welt, ihrer Geschichte und Geographie, ihren Bewohnern und deren Sprachen, Religionen, Sitten und Gebräuchen? Was konnte er wissen? Woher kamen die Informationen und wie ordnete und strukturierte er dieses Wissen?
Aufgrund der thematischen Breite dieser Quelle kann Millingers Weltbeschreibung als Gradmesser bäuerlicher Weltvorstellungen, als Spiegel ländlicher, peripherer Wissensmöglichkeiten benutzt werden.
In seinem Vortrag stellt Peter Andorfer diese Quelle vor, berichtet von den Schwierigkeiten im Umgang mit einem derartigen Werk und präsentiert die wichtigsten Erkenntnisse seiner Dissertation Die Weltbeschreibung des Leonhard Millinger. Ein Schlüssel zum Weltbild eines Bauern um 1800.
Aus der Weltbeschreibung:
Wo und wie gros die Höll Die Scribenden sagen einige, die Hölle sey den ersten, andere schreiben den dritten Tag von Anbegun der Welt erschaffen worden. Sie ist mitten in der Erd- oder Welt-Kugel. Von Erd-Boden biß Mitten der Höll – daß ist Mitl-Punct der Welt-Kugl – ist es 900 deutsche Meile. Die Höll ist 50 Meil hoch, und so viel breid und lang, die Peinen darin sind unbeschreiblich. Gott bewahre uns vor dieser.
Eintritt frei